Bis an die Grenzen - Sportliche Leistungen am Limit
Bis an die Grenzen - Sportliche Leistungen am Limit
Über das Phänomen des Extremausdauersports
Bis zum Ende der 80er Jahre waren der Marathonlauf und der 100-km-Lauf die extremen Herausforderungen im Ausdauersport, abgesehen von Rundfahrten im Radsport. Dieser Trend wurde durch die langen Volksskiläufe ergänzt.
Läufe | Distanz (km) | Land |
---|---|---|
Vasalauf (Vasaloppet) | 90 | SWE |
Transjurassienne | 76 | FRA |
Finnlandia Hiihto | 75 | FIN |
Marchialonga | 70 | ITA |
Tartu Maraton | 65 | EST |
Dolomitenlauf | 60 | AUT |
Bircebeiner Rennet | 58 | NOR |
König-Ludwig-Lauf | 55 | GER |
American Bircebeiner | 52 | USA |
Keskinada Loppet | 50 | CDN |
Engadin Skimarathon | 42 | SUI |
Kangaroo Hoppet | 42 | AUS |
Tab. 1: Internatiolale Skilangläufe (Langstrecke) |
Die Nachahmung des amerikanischen Langtriathlons von 3,8 km Schwimmen, 180 km Rad fahren und Marathonlauf (42,195 km) erfolgte Mitte der 80er Jahre in beiden Teilen Deutschlands, wobei die Bayern und Sachsen die Vorreiter waren. Wer nun dachte, dass der Ironman mit 8 bis 12 Stunden Belastung für die Top-Athleten die höchste sportliche Herausforderung sein würde, irrte sich gewaltig. Bereits 1985 wurde der Langtriathlon in der Doppelversion ausgeführt. In den folgenden Jahren steigerte sich die Vervielfachung bis zur 15fachen Distanz 1995.
Vervielf. | Distanz | Ort | Jahr | ||
---|---|---|---|---|---|
1fach | 3,8 km S | 180 km R | 42,2 km L | Hawaii/USA | 1978 |
2fach | 7,6 km S | 360 km R | 84,4 km L | Huntsville/USA | 1985 |
3fach | 11,4 km S | 540 km R | 126,6 km L | Fontanil/F | 1988 |
4fach | 15,2 km S | 720 km R | 168,8 km L | Den Haag/NL | 1989 |
5fach | 19,0 km S | 900 km R | 211 km L | Den Haag /NL | 1991 |
10fach | 38,0 km S | 1800 km R | 422 km L | Monterrey/MEX | 1992 |
15fach | 57,0 km S | 2700 km R | 633 km L | Monterrey/MEX | 1995 |
S = Schwimmen; R = Radfahren; L = Laufen) | |||||
Tab. 2a: Entwicklung des Langtriathlons |
Vervielf. | Name | Zeit | Ort | Jahr |
---|---|---|---|---|
1fach | van Lierde (NL) | 7:50:27 | Roth/D | 1997 |
2fach | Quinn (USA) | 19:36:00 | Huntsville/USA | 1994 |
3fach | Weber (D) | 32:55:50 | Neulengbach/D | 1996 |
4fach | Hojbjerre (NL) | 53:41:00 | Ungarn | 1993 |
5fach | Feijen (NL) | 75:16:39 | Den Haag/NL | 1994 |
10fach | Pavelca (CS) | 207:33:00 | Mexiko | 1992 |
15fach | Pavelca (CS) | 312:22:45 | Mexiko | 1995 |
Tab. 2b: Bestleistungen (Männer) |
Vervielf. | Name | Zeit | Ort | Jahr |
---|---|---|---|---|
1fach | Newby-Fraser (ZIM) | 8:50:53 | Roth/D | 1994 |
2fach | Bischoff (USA) | 22:07:00 | Huntsville/USA | 1994 |
3fach | Benöhre (D | 37:54:54 | Lensahn/D | 1993 |
4fach | Benöhre (D | 59:15:00 | Ungarn | 1993 |
5fach | Benöhre (D | 86:44:37 | Den Haag/NL | 1994 |
10fach | Andonie (MEX) | 249:14:59 | Mexiko | 1992 |
15fach | Andonie (MEX) | 403:01:54 | Mexiko | 1995 |
Tab. 2b: Bestleistungen (Frauen) |
Im Ultralangtriathlon erreichten in den Mehrfachversionen inzwischen über 800 Starter das Ziel. In der 10fach-Version gab es 35 und in der 15fach-Version 8 Finisher. Auch auf den Laufstrecken purzelten ab Mitte der 80er Jahre die Bestleistungen auf den langen Distanzen. Die herausragende Läuferpersönlichkeit im Ultralangstreckenlauf ist der aus Griechenland stammende Australier Yiannis Kouros, der nach einigen Jahren Laufabstinenz, seine eigenen Weltbestleistungen steigerte. Die Bestleistungen auf den langen Strecken, besonders bei den 24- bis 48-Stunden-Läufen und auf längeren Laufdistanzen, wurden ständig verbessert.
Wettbewerb | Jahr (Stand) | Name/Land | Alter | Zeit/Strecke |
---|---|---|---|---|
12 Stunden M | 10/97 | Kouros/USA | 41 | 162,6 km |
12 Stunden F | 03/97 | Trason/USA | 33 | 147,9 km |
24 Stunden M | 10/97 | Kouros/USA | 41 | 302,8 km |
24 Stunden | 03/97 | Siderenkova/RUS | 31 | 248,2 km |
100 km M | 03/97 | Ritchi/USA | 34 | 6:10:20 h |
100 km W | 03/97 | Trason/USA | 35 | 7:00:48 h |
200 km M | 03/97 | Kouros/AUS | 41 | 15:11:10 h |
200 km W | 03/97 | Adams/USA | 50 | 19:00:31 h |
1000 Meilen M | 03/97 | Kouros/USA | 41 | 10 T. 10:30:35 h |
1000 Meilen W | 09/97 | Cunningham/AUS | 39 | 13 T. 20:18:40 h |
3000 km M | 06/96 | Jermolajevs/LAT | 53 | 27 T. 21:47:30 h |
3000 km W | 06/96 | Beckjord/USA | 40 | 29 T. 22:52:25 h |
4000 km M | 06/96 | Jermolajevs/LAT | 53 | 37 T. 11:29:10 h |
4000 km W | 06/96 | Beckjord /USA | 39 | 39 T. 13:14:07 h |
5000 km M | 09/97 | Kelley/USA | 39 | 47 T. 17:06:07 h |
Tab. 3: ausgewählte Beispiele von Laufextremleistungen |
Gegenwärtig ist das Phänomen zu beobachten, dass Extrembelastungen nicht nur von ehemaligen Leistungssportlern vollbracht werden, sondern zunehmend von Späteinsteigern. Immer mehr durchschnittlich trainierte Sportler bewältigen die Marathondistanz und längere Strecken. Die Startfelder umfassen bei den Stadtmarathons inzwischen über 30.000 Läufer (Honolulu Marathon, New York Marathon u. a.). Der Zusammenhang zwischen dem notwendigen Training und der möglichen Langzeitbelastung rückt immer deutlicher in das Bewusstsein von Freizeit- und Fitnesssportlern. Es ist bezeichnend, dass sich die Teilnehmer äußerst sorgfältig und unter Beachtung trainingsmethodischer Hinweise auf ihre Extrembelastungen vorbereiten, sodass die Zahl der Aussteiger bei Langstreckenwettbewerben abnimmt. In den Jahren 1992 bis 1995 fanden Transamerikaläufe von Huntington Beach (Kalifornien) nach New York über insgesamt etwa 2900 Meilen (4669 km) statt (Tab. 5). Diese Distanz wurde in 64 Tagesetappen mit 45 Meilen/Tag (72,5 km/Tag) bewältigt. Von 28 Startern erreichten 1992 nur 13 das Ziel. Finanzielle Schwierigkeiten verhinderten die Fortsetzung dieser Veranstaltung, wie vorher die Läufe 1928 und 1929 von Los Angeles nach New York.
Jahr | Name | Alter | Land | Gesamtlaufzeit |
---|---|---|---|---|
1992 | Davod Wrady | 35 | USA | 521:35:57 h |
1993 | Ray Bell | 46 | USA | 486:41:08 h |
1994 | Istvan Sipos | 35 | Ungarn | 517:43:02 h |
1995 | Dusan Mravlje | 33 | Slovanien | 427:59:00 h |
Tab. 5: Transamerikaläufe 1992 bis 1995 über 2990 Meilen (4669 km)(Von Huntington Beach/Kalifornien nach New York) |
Der Glaube versetzt Berge
Die Zahl der Teilnehmer an Veranstaltungen mit Extremanforderungen nimmt zu. Die „Liebhaber“ von sportlichen Extrembelastungen beginnen ihre Starts im Ultrabereich zu sammeln. Der zählbare „Ultralauf“ beginnt beim bewältigten Marathonlauf und allen Läufen, die länger als die 42,2 km sind. Der bisherige Rekordhalter Horst Preisler (Hamburg) hatte 758 Ultras bis Ende 1997 bewältigt und wöchentlich kommen noch ein bis zwei Läufe hinzu. Den Rekord in der Häufigkeit durchgestandener Marathonläufe/Jahr hält ein deutscher Zahnarzt (aus Kassel), der es 1996 auf 112 offizielle Marathonläufe (als Wettkampf) brachte; eine konditionelle und logistische Meisterleistung. Die Bewältigung langer Laufdistanzen ist mit hohen mentalen Anforderungen und großer Willenskraft verbunden. Da diese Belastungen seitens des Stütz- und Bewegungssystems nicht problemlos sind, müssen teilweise große Schmerzen während der Belastung (mit oder ohne Medikamente) überwunden werden. Regelmäßig weisen 2/3 der Extremläufer Traumatisierungen an den Zehen und Fußsohlen auf. In den USA haben einige Langstreckenwettbewerbe im Lauf seitens des Veranstalters einen religiösen Hintergrund. Bekannt hierfür ist die Religionsgemeinschaft um Sri Chinmoy, die seit 1985 Extremläufe in New York über 700, 1000 und 1300 Meilen ausschreibt und organisiert. Der ursprünglich längste Einzellauf über 1300 Meilen (2093 km) wurde allmählich von Jahr zu Jahr verlängert. Der 3100 Meilenlauf (4991 km), der 1997 auf 5000 km verlängert wurde, war der bisherige Höhepunkt in der „Selbsterfüllung eines unmöglichen Traumes“, wie Sri Chinmoy diese Herausforderung bezeichnete.
Distanz | Kelley | Beckjord |
---|---|---|
1000 Meilen | 15 + 01:24:30 | 15 + 15:19:50 |
2000 km | 19 + 01:47:43 | 19 + 23:24:44 |
3000 km | 28 + 14:16:14 | 30 + 01:03:19 |
4000 km | 38 + 08:23:57 | 40 + 02:58:55 |
3000 Meilen | 46 + 13:50:41 | 48 + 09.13.25 |
5000 KM | 47 + 17:06:07 | 3100 Meilen (50+02) |
Durschnitt pro Tag | 65 Meilen (104,7 km) | 61,9 Meilen (99,7 km) |
Tab. 4: Laufzeiten beim 3100 Meilenlauf. Start am 12.06.1997 (Jamaica und New York) (Herr Edward Kelley, 39 Jahre, USA und Frau Suprabha Beckjord, 50 Jahre) |
Die Endlichkeit besiegen
Wir konnten 1997 bei einem Dreifachlangtriathlon in Lensahn erstmalig Stoffwechsel- und Hormonuntersuchungen durchführen. Während der durchschnittlichen Belastungsdauer von 46 Stunden (ohne Schlaf) kam es nach den einzelnen Disziplinen zu einem ansteigenden Stoffwechselstress.
Messgrößen | Vorstart | 11,4 km Schwimmen | 540 km Rad | 126,6 km Laufen |
---|---|---|---|---|
Glucose (mmol/l) | 5,5 | 6,2 | 5,7 | 6,4 |
Freie Fettsäuren (mmol/l) | 0,35 | 1,22 | 1,72 | 1,23 |
Hämatokrit (%) | 48,1 | 48,6 | 47,5 | 44,6 |
Serumharnstoff (mmol/l) | 7,0 | 7,9 | 11,0 | 9,2 |
Creatinkinase (U/l) | 450 | 582 | 972 | 2832 |
Cortisol (mmol/l) | 233 | 623 | 525 | 654 |
Verzweigtkettige Aminosäuren mg/dl | 5,54 | 5,79 | 4,18 | 4,31 |
Tab. 6: Veränderungen ausgewählter Stoffwechselgrößen bei einem Dreifachultralangtriathlon (Mittelwert von 10 Athleten) |
Kennzeichen einer relativ stabilen Stoffwechselregulation ist bei Langzeitbelastungen der gleichbleibend hohe Blutzuckerspiegel. Damit die Energieversorgung für die Gehirnfunktion aufrechterhalten bleibt, darf die Blutglucosekonzentration nicht abfallen. Die dennoch angespannte energetische Situation führt zum zusätzlichen Eiweißabbau, der am Anstieg der Serumharnstoffkonzentration zu erkennen ist. Infolge des anhaltenden Kohlenhydratmangels nimmt der Eiweißabbau (Proteinkatabolismus) zu. Bemerkenswert war, dass nach dem Radfahren der höchste Proteinkatabolismus erreicht wurde, der sich beim abschließenden 126,6-km-Lauf aber wieder leicht erholte (siehe „verzweigtkettige Aminosäuren“, Tab. 6). Das wird insofern verständlich, als dass die meisten Athleten zum Schluss nicht mehr richtig laufen konnten und das letzte Streckendrittel (ein ganzer Marathonlauf) teilweise gehend bewältigten. Sie haben insgesamt ihre „Belastungsintensität“ vermindert. Die Wettkampfverpflegung und Flüssigkeitsaufnahme waren so ausbalanciert, dass die Athleten ihr Gewicht gehalten haben. Das Blut wurde zunehmend dünnflüssiger, der Hämatokrit nahm von 48 auf 44 Prozent ab (s. Tab. 6). Die starke Muskelermüdung war indirekt am Anstieg des muskelständigen Enzyms Creatinkinase (CK) im Blut zu belegen. Besonders nach dem Lauf kam es zu einem enormen CK-Anstieg (Tab. 6). Dieser CK-Anstieg sollte bereits Grund genug sein, mindestens eine Woche das Laufen zu unterlassen. Auffallend war die differenzierte Abnahme von Aminosäuren, besonders der verzweigtkettigen (Valin, Leucin, Isoleucin) bereits während des Wettkampfes (Tab. 6). Für die Substitution der verzweigtkettigen Aminosäuren noch während der Belastung gibt es inzwischen zahlreiche wissenschaftlich gestützte Belege. Damit scheint die zusätzliche Aufnahme bereits während der Belastung – zusätzlich zu den Kohlenhydraten – praktisch gerechtfertigt. Die Aufnahme von verzweigtkettigen Aminosäuren vermindert den Proteinkatabolismus und verkürzt damit die Regeneration.
Letzte Chance für Senioren?
Die Langstreckenwettbewerbe werden offensichtlich von Sportlern bevorzugt, die ihre Leistungssportkarriere in einer Ausdauersportart beendet haben und ab Mitte des 30. Lebensjahres eine neue Herausforderung suchen. Allerdings ist für eine Mehrstunden- und Mehrtagesbelastung die hohe Belastbarkeit des Stütz- und Bewegungssystems eine elementare individuelle Voraussetzung. Insbesondere geht es um die Gelenkknorpelbelastbarkeit und die geringe Neigung zur Muskelverspannung im Ermüdungsfall. Der Vorteil von Langzeitbelastungen ist, dass die Geschwindigkeit moderat ist und von vielen Athleten als angenehmer empfunden wird als die Intensitätsanforderung auf den kürzeren Strecken. Den alternden Athleten stört die Belastungsdauer weniger als die Intensität. Auch 60-jährige Ausdauerathleten können noch Extrembelastungen bewältigen, wie der über 60-jährige Ausdauersportler Jost beim Dreifachtriathlon 1997 in Lensahn bewies. Er bewältigte den Dreifachlangtriathlon mit Schlafeinlagen in 57 Stunden. Das längere Zeit anhaltende Erfolgsgefühl über die eigene Leistungsfähigkeit, die Anerkennung der Leistung durch Familie und Freunde sowie die vollbrachte Selbstüberwindung (Willensstärke) sind wahrscheinlich Gründe dafür, dass die längeren Strecken im Trend liegen und immer mehr Athleten eine ihnen noch nicht bekannte psychophysische Leistungsgrenze ausloten. Zahlreiche Athleten berichten über antidepressive Nachwirkungen solcher Extrembelastungen und deutlicher Entlastung vom Alltagsstress.
Prof. Dr. med. Georg Neumann
Dr. med. O. Volk
Institut für angewandte Trainingswissenschaft
Leipzig
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